(St)Geht’s noch? Erektile Dysfunktion.

Erektile Dysfunktion (ED), also die wiederholt auftretende oder anhaltende Unfähigkeit, eine für einen befriedigenden Sex ausreichende Erektion zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, ist ein Thema, das viele Männer betrifft – und doch mit Scham behaftet bleibt. Dabei handelt es sich längst nicht mehr um eine „Erektionsschwäche“, sondern um ein gut definierbares medizinisches Krankheitsbild mit belastbarer Evidenzlage und wirksamen Behandlungsoptionen.

Heute reden wir also über das angeblich beste Stück des Mannes und wenn es schwächelt.

AI gen.

Definition und Häufigkeit

Die Definition der erektilen Dysfunktion wurde 1993 durch das National Institutes of Health (NIH) Konsensuspanel standardisiert. ED ist demnach „die andauernde Unfähigkeit, eine Erektion zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, die für eine zufriedenstellende sexuelle Leistung ausreichend ist“ (NIH Consensus Development Panel, 1993).

Laut der Massachusetts Male Aging Study (MMAS), einer der umfassendsten epidemiologischen Studien auf diesem Gebiet, die von 1987 bis 1989 mit einem Follow-up 2004 durchgeführt wurde, leiden etwa 52 % der Männer im Alter von 40 bis 70 Jahren an einer Form der ED. Die Prävalenz steigt mit dem Alter signifikant an: leichte ED bei 17 % der 40-Jährigen, bei 67 % der 70-Jährigen (Feldman et al., 1994).

Eine österreichische Studie aus 2006, ergab, dass 32 % der befragten Männer irgendeine Form von ED im Laufe ihres Lebens erlebt haben. Hier geht’s zum Artikel über diese in Wien durchgeführte Studie: https://www.kup.at/kup/pdf/8482.pdf

Psyche vs. „Organ“

Die Ursachen der ED lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: psychogen und organisch (somatisch). In der Praxis treten jedoch häufig Mischformen auf.

Bei der psychogenen ED handelt es sich meist eine situationsabhängige Beeinträchtigung der Erektion – also die Erektion versagt unter bestimmten Umständen, z. B. bei Leistungsdruck, Stress, Versagensangst oder Partnerschaftskonflikten. Sie ist aber in anderen Situationen, etwa bei Masturbation oder beim Aufwachen, intakt. Studien zeigen, dass bei jüngeren Männern häufiger psychogene Ursachen dominieren (Laumann et al., 1999). Situationsabhängige ED tritt also nur in bestimmten Kontexten auf. Die Erektionsfähigkeit ist prinzipiell vorhanden, etwa bei Selbstbefriedigung oder mit einem anderen Partner. Das spricht gegen eine organische Schädigung. Psychologische Faktoren wie Depressionen, Angststörungen und insbesondere die sogenannte performance anxiety (Leistungsangst) können ebenfalls zentral zur ED beitragen (Bancroft, 2005). Die kognitive Theorie der Sexualstörungen nach Barlow (1986) unterstreicht, dass ein negativer Erwartungshorizont („Ich werde wieder versagen“) eine selbstverstärkende Spirale aus Angst, physiologischer Hemmung und Misserfolg in Gang setzt.

Organisch bedingte ED entwickelt sich meist schleichend und ist persistenter.

Ursachen können unter anderem Gefäßerkrankungen wie Arteriosklerose sein, da die Penisschwellkörper (vor allem die beiden corpora cavernosa) sehr feine Gefäße enthalten (Montorsi et al., 2003). Aber auch Diabetes mellitus führt über die Schädigung kleinster Blutgefäße und diabetischer Neuropathie zur ED. Laut Studien liegt das Risiko für ED bei Diabetikern doppelt bis dreifach so hoch (Klein et al., 1996).

Weiters ist die Erektionsfähigkeit bei einigen neurologische Erkrankungen, wie z. B. Multiple Sklerose, Parkinson, Rückenmarksläsionen etc. oft beeinträchtigt. Auch einige Medikamente können die Erektionsfähigkeit negativ beeinflussen, v. a. Antihypertensiva, Antidepressiva und Neuroleptika. Hormonstörungen und im Besonderen ein Testosteronmangel (Hypogonadismus) kann die Libido und die Erektionsfähigkeit senken. Die European Male Aging Study (EMAS) beschreibt einen klaren Zusammenhang zwischen niedrigem Testosteron und sexueller Dysfunktion (Wu et al., 2010).

Wünschelrute für Kommendes

Moderne Studien betrachten ED nicht nur als isoliertes Symptom, sondern als Indikator für andere Gesundheitsprobleme. Eine 2023 publizierte Metaanalyse mit rund 67 000 Männern mit Diabetes mellitus zeigte, dass schlechte Stoffwechseleinstellung (HbA1c), länger bestehender Diabetes das ED-Risiko verdoppeln bis vervierfachen können. Diese Befunde stärken die Erkenntnis, dass ED oft der „Frühwarn­indikator“ für systemische Erkrankungen ist – besonders bei Gefäß- oder Stoffwechselproblemen.

Bei Patienten mit Herzgefäßerkrankungen liegt die Häufigkeit sexueller Funktionsstörungen bei über 60 %, was ihre Lebensqualität deutlich mindert. Die Verbindung zwischen Gesundheit und Sexualfunktion ist nicht von der Hand zu weisen.

Es geht also nicht nur um Potenz, sondern um ganzheitliche Gesundheit.

Mehr als kleine blaue Pillen

Eine nachhaltige Therapie verlässt sich nicht mehr allein auf klassische Medikamente. Zwar stehen orale PDE‑5‑Hemmer wie Sildenafil oder Tadalafil weiterhin im Zentrum der Therapie – mit hoher Effektivität und bewährter Sicherheit. Sie wirken nur bei sexueller Stimulation. Die Wirksamkeit ist hoch; in placebokontrollierten Studien zeigten sich Erfolgsraten von 60–80 % (Goldstein et al., 1998). Doch viele Studien belegen inzwischen, dass alleiniger Pillengebrauch häufig nicht ausreicht.

Deswegen sind begleitende Maßnahmen heute Standard: Eine verbesserte Stoffwechsellage wird mit gezieltem Ausdauertraining, Gewichtsreduktion und einer mediterranen Ernährung kombiniert. Eine randomisierte Studie zeigte, dass allein durch Ernährungs- und Bewegungsmaßnahmen messbare Verbesserungen der Erektionsfähigkeit erreicht werden konnten.

Insbesondere bei psychogener oder situationsabhängiger ED ist ein sexualtherapeutischer Ansatz zentral. Zum Beispiel zeigt die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) zeigt in Studien gute Wirksamkeit (Melnik et al., 2012).

Weiters stehen mechanische Hilfsmittel, wie Vakuumpumpen, Penisringe oder Schwellkörperimplantate zur Verfügung.

Das beste Stück der Männlichkeit?

Sexualität und Männlichkeit werden in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend als vielfältige, biopsychosozial geprägte Konzepte verstanden, die sich nicht auf die Erektionsfähigkeit reduzieren lassen. Studien zeigen, dass das männliche Selbstbild zwar häufig mit sexueller Leistungsfähigkeit assoziiert wird, jedoch ist diese Verknüpfung kulturell vermittelt und nicht biologisch determiniert (Kimmel, 2006; Giddens, 1992). Die Sexualmedizin betont, dass erfüllte Sexualität auch ohne Penetration oder Erektion möglich ist und etwa emotionale Intimität, Berührung und Kommunikation eine zentrale Rolle spielen (McCabe et al., 2016). Die International Society for Sexual Medicine (ISSM) weist zudem darauf hin, dass Erektionsstörungen weit verbreitet sind und keinesfalls die Männlichkeit eines Betroffenen infrage stellen (Mulhall et al., 2018).

Vielmehr sollte ein ganzheitliches Verständnis von Sexualität gefördert werden, das männliche Identität nicht an körperliche Funktionen bindet. Und auch ohne Erektion: Sexualität ist so viel mehr als nur SEINE Standfestigkeit.

Fazit

Erektile Dysfunktion ist ein häufiges, behandelbares Symptom mit komplexen Ursachen. Die sorgfältige Differenzierung zwischen psychogenen und organischen Faktoren ist grundlegend für eine zielgerichtete Therapie. Aus sexualmedizinischer Sicht ist ein integrativer, patientenzentrierter Ansatz erforderlich, der Lebensstil, Psyche und somatische Befunde einbezieht. ED ist kein unausweichliches Schicksal, sondern ein medizinisches Problem mit klaren Behandlungsmöglichkeiten – vorausgesetzt, man spricht offen darüber.

Die Sexualmedizin kann auch dabei helfen, neue, spannende und erfüllende Wege zu einer neuen Sexualität zu finden. Es geht, auch wenn „er“ nicht mehr steht.

Hören wir also auf, Männer über ihr Geschlechtsorgan und dessen Funktionalität zu definieren.

Frau Doktor K., Juli 2025

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Literaturverzeichnis (Auswahl):

– Bancroft, J. (2005). The endocrinology of sexual arousal. Journal of Endocrinology.

– Barlow, D. H. (1986). Causes of sexual dysfunction: The role of anxiety and cognitive interference. Journal of Consulting and Clinical Psychology.

– Buvat, J. et al. (2010). Testosterone deficiency in men: systematic review and standard operating procedures for diagnosis and treatment. International Journal of Clinical Practice.

– Dilixiati B. et al. (2023). Risk factors of erectile dysfunction in men with diabetes mellitus: a systematic review and meta-analysis. PubMed ID: 38638136.

– Esposito, K. et al. (2004). Effect of lifestyle changes on erectile dysfunction in obese men: a randomized controlled trial. JAMA.

– Feldman, H. A. et al. (1994). Impotence and its medical and psychosocial correlates: results of the Massachusetts Male Aging Study. Journal of Urology.

– Goldstein, I. et al. (1998). Sildenafil in the treatment of erectile dysfunction. New England Journal of Medicine.

– Klein, R. et al. (1996). Erectile dysfunction in men with diabetes mellitus. Diabetes Care.

– Laumann, E. O. et al. (1999). Sexual dysfunction in the United States: prevalence and predictors. JAMA.

– Lee Y. et al. (2023). Flow-mediated dilation and pulse wave velocity in erectile dysfunction diagnostics. World Journal of Men’s Health.

– Montorsi, F. et al. (2003). Is erectile dysfunction the „tip of the iceberg“ of a systemic vascular disorder? European Urology.

– Wang L. et al. (2023). Role of PDE-5 inhibitors and regenerative therapy in erectile dysfunction: a comprehensive review. PMC10008940.

– Ziapour A. et al. (2024). Prevalence of sexual dysfunction in cardiac patients: a systematic review and meta-analysis. Systematic Reviews Journal.

– Özbek E. (2024). New treatment modalities for erectile dysfunction: PRP and shockwave combination therapy. Dremin Özbek Urology Reports.