Die Varianten einer Frau.
Das weibliche Selbstbild aus Sicht einer verunsicherten Frau.
Ein persönlicher Versuch, Feminismus, Weiblichkeit, versteckte Misogynie und männlichen Chauvinismus zusammenzudenken

Manchmal habe ich das Gefühl, ich existiere in einem Knäuel aus Widersprüchen. Ich bin Feministin. Ich bin ambitioniert, selbstständig, finanziell unabhängig. Ich bin überzeugt vom hohen Wert der Gleichberechtigung, von der Notwendigkeit glass ceilings und toxische Strukturen aufzubrechen. Ich bin Gynäkologin, genauer gesagt, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Tagtäglich erlebe ich die Stärke von Frauen, wie sie Grenzen verschieben und Unmögliches einfach mal machen. Und gleichzeitig… liebe ich Lippenstift. Und schöne Kleider. Und Schuhe. Handtaschen. Make up. Meinen Dyson Airwrap und die flauschig schönen Haare. Ich liebe es, weiblich aufzutreten. Ich genieße Komplimente über mein Aussehen. Ich möchte stark und schön sein – aber genau darin steckt die Verwirrung.
Denn genau hier beginnt das Minenfeld: Weiblichkeit zu leben und gleichzeitig ernst genommen zu werden. Sich feminin zu präsentieren, ohne in die sexistische Schublade der „dekorativen, leicht manipulierbaren Frau“ gesteckt zu werden. Und immer wieder stelle ich fest: die Rechnung geht nicht auf. Und es sind nicht nur Männer, die diese Gleichung nicht verstehen. Sondern auch Frauen. Und die größten Stolpersteine sind oft die, die von vermeintlich „aufgeklärter“ Seite kommen.
Feminismus vs Weiblichkeit, ist das ein Konflikt, der notwendig ist?
Warum hab ich ständig das Gefühl, als müsse sich Frau entscheiden: Für die kämpferische, sachliche Feministin oder für die „klassische Weiblichkeit“? Dabei ist doch gerade die Idee des Feminismus, dass Frauen wählen dürfen. Aber diese Wahl wird in unserer Gesellschaft oft nur scheinbar angeboten – je nachdem, in welchem Umfeld man sich bewegt.
Man nehme in diesem Zusammenhang das Phänomen der sogenannten „tradwives“ (traditional housewives) und die Plattformen, die dieses Bild bedienen – allen voran die US-amerikanische Zeitschrift Evie. Wer Evie noch nicht kennt: Das Magazin präsentiert sich als modernes Lifestyle-Magazin für Frauen, versteckt unter dieser Fassade aber ein erschreckend rückwärtsgewandtes Frauenbild. Zwischen Beauty-Tipps und Beziehungsratschlägen findet sich eine subtile bis offene Propaganda für traditionelle Geschlechterrollen, weibliche Unterordnung und die Romantisierung der „Versorger-Ehe“. Wer wissen will, mit welchen Stellungen man seinen EHEmann ins Delir vögeln kann (CAVE funktioniert wohl nicht ohne ein Ehegelöbnis abgelegt zu haben) oder potenzfördernd bekochen kann, wird hier fündig. PS: Herausgeberin und Chefredakteurin ist eine Frau, bezahlt wird´s wohl eher vom rechtskonservativen Mann.
Natürlich darf jede Frau das Hausfrauendasein wählen – wenn es ihre freie Entscheidung ist. Aber Evie und ähnliche Plattformen suggerieren oft, dass diese Rollenverteilung der einzige Weg zu weiblichem Glück sei. Und hier schleicht sich die versteckte Misogynie ein: Weiblichkeit wird definiert durch Abhängigkeit. Eigenständigkeit wird kleingeredet. Karrierefrauen werden oft subtil als unglücklich, gestresst oder „maskulinisiert“ dargestellt.
Was mich dabei besonders irritiert: In der Incel-Bewegung (involuntary celibates) wird diese Sichtweise sozusagen zur Religion. Incels verachten selbstbestimmte Frauen. Frauen, die Karriere machen. Frauen, die wählen, wen sie lieben oder wie und mit wem sie ihre Sexualität ausleben. Für Incels sind Frauen, die erfolgreich und attraktiv sind, eine doppelte Bedrohung: Sie entziehen sich ihrer Kontrolle und bleiben für viele von ihnen unerreichbar.
Die Parallelen zwischen den misogynen Hass-Foren der Incels und den weichgespülten Texten in Magazinen wie Evie sind zum Fürchten – nur ist Letzteres gesellschaftlich akzeptabler (und in Hochglanz!) verpackt. Doch am Ende bleibt die Botschaft dieselbe: Frauen, die ihre Weiblichkeit zu selbstbestimmt leben, sind suspekt. Dieser Chauvinismus ist nicht immer plump oder offen aggressiv – oft kommt er als vermeintliches Kompliment, oder als augenzwinkernder Ratschlag daher.
Ich nenne das die Varianten einer Frau: Die gesellschaftlichen Projektionen, die Erwartungen, die Labels. Karrierefrau, Feministin, tradwife, Beauty-Queen, starke Frau, „natürliche“ Frau. Jede dieser Varianten steht für eine Version von Weiblichkeit, doch kaum jemand lässt Raum für Widersprüche. Ich wäre gerne aber all das gleichzeitig – und genau das führt zu meiner eigenen Verwirrung.
Muss ich mich für die eine Variante entscheiden? Darf ich mit feministischem Anspruch auftreten und mich trotzdem in High Heels wohlfühlen? Ist es ein Verrat an der Sache, wenn ich gleichzeitig mit Schmink-Tutorials experimentiere und Patriarchatskritik formuliere?
Fazit: Weiblichkeit darf widersprüchlich sein
Ich habe keine endgültige Antwort, nur eine Erkenntnis: Die wahre Emanzipation liegt nicht darin, sich einer der vorgegebenen Varianten zu unterwerfen – sondern darin, sie alle zu hinterfragen, neu zu kombinieren und auch Spannungsfelder auszuhalten. Weiblichkeit darf politisch sein. Weiblichkeit darf glamourös sein. Weiblichkeit darf verwirrend sein.
Und solange Plattformen wie Evie versuchen, uns das Gegenteil einzureden, solange Incels in ihren Foren ihren Hass kultivieren und der gesellschaftliche Chauvinismus uns subtil in vorgefertigte Rollen drängt, und solange ich nach wie vor in erster Linie im Krankenhaus mit “Schwester” angesprochen werde (obwohl über 90% der Ärzt:innen weiblich sind in meiner Abteilung) ist Feminismus wichtiger denn je – auch, oder gerade dann, wenn er sich Lippenstift aufträgt.
Eine verunsicherte, feministische, weibliche Frau.
ein Gastbeitrag von Dr.in Caroline Ender, Juli 2025
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