BDSM – ist das normal?

Jenseits von Mythen und Stigma: Eine sexualmedizinische Perspektive auf BDSM

Was ist schon normal?!

Als Medizinerin begegne ich immer wieder Menschen, die neugierig und unsicher zugleich sind, wenn es um sogenannte „abweichende“ sexuelle Vorlieben geht. Ich finde ja „unkonventionell“ schöner!

Besonders BDSM – Akronym für Bondage und Disziplin, Dominanz und Submission, Sadismus und Masochismus – ist ein Thema, das mit vielen Missverständnissen und Vorurteilen behaftet ist.

Es wird Zeit, BDSM als Bestandteil der menschlichen Sexualität anzuerkennen – historisch, global und medizinisch.

AI gen.

…älter als man denkt

BDSM ist keine moderne Erfindung. Bereits in frühen Kulturen finden sich Hinweise auf rituelle Praktiken, in denen Dominanz, Unterwerfung und gezielte Schmerzreize eine spirituelle oder soziale Funktion einnahmen. Der Sexualhistoriker Vern L. Bullough betont in „Human Sexuality: An Encyclopedia“ (1994), dass bereits im antiken Griechenland und Rom erotische Disziplinierungen dokumentiert wurden, etwa in der Form von Züchtigungspraktiken, die in erotischen Kontexten Verwendung fanden. Auch in Mesopotamien waren Flagellanten bekannt, die durch Selbstgeißelung ihre Devotion den Göttern gegenüber demonstrierten.

Der französische Psychiater Richard von Krafft-Ebing, der 1886 mit seinem Werk „Psychopathia Sexualis“ die Begriffe „Sadismus“ und „Masochismus“ prägte, verortete diese Praktiken allerdings bereits im Bereich der Pathologie. Seine Sichtweise war stark durch die damalige Moral und ein medizinisches Verständnis von „Normalität“ geprägt, das heute als veraltet gilt. Spätere Forschungen, unter anderem von Roy Baumeister (1988), wiesen jedoch darauf hin, dass sadomasochistische Fantasien ein integraler Bestandteil vieler Menschen seien – unabhängig von psychischer Gesundheit oder Traumaerfahrungen.

Und vergessen wir nicht den österreichischen Namensgeber des „Sado-Masochismus“ Leopold von Sacher-Masoch, der in seinem Roman „Venus im Pelz“ 1870 die Geschichte des jungen Severin erzählt, der davon besessen ist von der schönen Wanda als Sklave gehalten, unterworfen und gequält zu werden.

Eine weltweite Praxis

BDSM ist kein westliches Nischenphänomen. Praktiken von Machtspiel, Schmerz und Unterwerfung findet man in zahlreichen Kulturen als Ausdruck sexueller, ritueller oder sozialer Rollen. Die Anthropologin Margaret Mead beschrieb bereits in den 1930er Jahren sexualisierte Rituale in verschiedenen pazifischen Kulturen, in denen Dominanz und Disziplinierung Teil der sexuellen Dynamik waren.

In Japan entwickelte sich seit dem 17. Jahrhundert die Kunstform Shibari – eine aus der Samurai-Tradition hervorgegangene Praxis des erotischen Fesselns. Heute ist sie ein kulturell anerkannter Bestandteil japanischer erotischer Ausdrucksformen und wird weltweit praktiziert.

Solche Phänomene zeigen: BDSM ist Ausdruck einer tiefen menschlichen Auseinandersetzung mit Intimität, Macht und Körperlichkeit – und keineswegs auf westliche „Subkulturen“ beschränkt.

Zahlen, Daten, Fakten

Laut der Studie „Sexual Behavior in the United States: Results from a National Probability Sample of Men and Women Ages 14–94“ von Herbenick et al. (2017), berichten etwa 22% der US-Amerikaner, sexuelle Praktiken mit Elementen von Dominanz oder Unterwerfung ausprobiert zu haben. Eine britische Studie aus dem Jahr 2014 (Richters et al.) zeigt ähnliche Zahlen: Etwa ein Drittel der befragten Erwachsenen gab an, BDSM-Fantasien zu haben, und 10% haben entsprechende Praktiken realisiert.

Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache: BDSM ist keine Randerscheinung, sondern Teil eines breiten Spektrums menschlicher Sexualität. Es handelt sich bei den meisten Praktizierenden nicht um Menschen mit psychischen Auffälligkeiten, sondern um sexuell aktive Erwachsene, die auf einvernehmlicher Basis explorative Dynamiken leben. Zum Thema Dynamiken wird es einen eigenen Beitrag geben – das würde hier den Rahmen sprengen!

Pathologisierung im Wandel der Zeit

Die medizinische Einordnung von BDSM war lange problematisch. Noch bis 2013 listete das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV-TR) „Sadomasochistische Störung“ als psychische Erkrankung. Erst mit dem DSM-5 änderte sich das: Nicht mehr das Vorhandensein von BDSM-Fantasien oder -Verhalten allein, sondern erst ein damit verbundener Leidensdruck oder funktionale Beeinträchtigung gelten als pathologisch. Damit erkennt die moderne Psychiatrie erstmals an, dass BDSM – sofern einvernehmlich und nicht leidvoll – keine Störung ist.

Auch die Weltgesundheitsorganisation hat 2019 im Rahmen der International Classification of Diseases (ICD-11) einen ähnlichen Schritt gemacht: „Consensual sexual behaviours“ wie BDSM, Fetischismus oder Transvestitismus wurden explizit als nicht-pathologisch klassifiziert – ein bedeutsamer Meilenstein für die sexuelle Selbstbestimmung und gegen Stigmatisierung.

Warum Menschen BDSM praktizieren

Ein häufiges Missverständnis lautet: Wer BDSM praktiziert, muss traumatisiert oder psychisch labil sein. Doch die wissenschaftliche Evidenz widerspricht dem klar. Eine Studie von Connolly (2006) untersuchte die psychische Gesundheit von BDSM-Praktizierenden und fand keine höheren Raten von psychischen Störungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Im Gegenteil: In bestimmten Parametern wie Offenheit für Erfahrungen, Kommunikationsfähigkeit und Beziehungsqualität schnitten BDSM-Praktizierende sogar besser ab.

Die Motivationen für BDSM sind vielfältig: Manche erleben durch Dominanz oder Unterwerfung intensive erotische Zustände, andere suchen emotionale Nähe, tieferes Vertrauen oder einen Zustand meditativer Hingabe. Die Sexualwissenschaftlerin Peggy Kleinplatz betont, dass „intensive sexuelle Erfahrungen häufig außerhalb des traditionellen Koitus stattfinden – durch bewusste Inszenierung, Grenzerfahrungen und tiefe emotionale Bindung“ (New Directions in Sex Therapy, 2012).

Sicherheit, Konsens und Ethik

BDSM folgt klaren ethischen Prinzipien: „Safe, Sane and Consensual“ (SSC) oder „Risk-Aware Consensual Kink“ (RACK) sind international etablierte Spielarten, die sicherstellen sollen, dass Praktiken nicht schaden, sondern im Rahmen von Vertrauen und informierter Einwilligung geschehen. Das bedeutet: Alle Beteiligten kennen die Risiken, haben klar kommuniziert und handeln aus freiem Willen.

Diese Strukturen sind keineswegs „wild“ oder „chaotisch“, wie es Medienberichte manchmal suggerieren. Im Gegenteil: BDSM-Praktizierende investieren häufig viel Zeit in Kommunikation, emotionale Nachsorge (Aftercare) und Bildung – etwa durch Workshops, Fachliteratur oder Selbsterfahrungsgruppen.

Was Sexualmedizin leisten muss

Die Aufgabe der Sexualmedizin besteht nicht darin, sexuelle Vielfalt zu normieren oder zu werten, sondern Menschen in ihrem Erleben zu begleiten. Dazu gehört auch, BDSM nicht länger durch eine pathologisierende Brille zu betrachten. Ärzte:innen und Therapeuten:innen sollten sich stattdessen mit den realen Lebenswelten ihrer Patient:innen vertraut machen – und aufhören, BDSM-Praktiken mit Missbrauch oder psychischer Störung gleichzusetzen.

Der Sexualforscher Charles Moser schrieb bereits 2002: „Wenn medizinisches Personal BDSM nicht versteht, kann es leicht dazu führen, dass Patienten:innen falsch diagnostiziert oder sogar retraumatisiert werden.“ Eine sensible, informierte und wertfreie Haltung ist essenziell – nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch, um Vertrauen und therapeutische Wirksamkeit zu schaffen.

Fazit

BDSM ist weder neu noch krankhaft. Es ist ein komplexes, vielschichtiges Phänomen, das Ausdruck von Intimität, Selbstbestimmung und Lust sein kann. Die wissenschaftliche Literatur zeigt klar: Solange BDSM einvernehmlich praktiziert wird, stellt es keine psychische Störung dar – sondern eine legitime Form sexuellen Ausdrucks.

Ich wünsche ich mir eine Gesellschaft, die Raum lässt für diese Vielfalt – und eine medizinische Praxis, die ihre Aufgabe nicht im Normieren, sondern im Verstehen sieht.

Frau Doktor K., Juni 2025

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Literaturverzeichnis (Auswahl):

– Herbenick et al. (2017): Sexual Behavior in the United States. JAMA.
– Kleinplatz, P. J. (2012): New Directions in Sex Therapy. Routledge.
– Moser, C., & Kleinplatz, P. J. (2006): Sexual Desire Discrepancy. Journal of Psychology & Human Sexuality.
– Richters et al. (2014): BDSM: Prevalence and Correlates. Journal of Sexual Medicine.
– Baumeister, R. F. (1988): Masochism as Escape from Self. Journal of Sex Research.