In der heutigen Gesellschaft ist die vollständige Intimrasur insbesondere bei Frauen, aber zunehmend auch bei Männern, zur Norm geworden. Der sogenannte „kahlen Venushügel“ ist in westlichen Ländern weit verbreitet – und wird oft unhinterfragt als ästhetisches Ideal übernommen. Doch was bedeutet das aus medizinischer, psychologischer und historisch-kultureller Sicht?
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf über 1000 Jahre kultureller Geschichte der Schambehaarung, analysieren medizinische und psychosexuelle Aspekte und diskutieren kritisch die Einflüsse moderner Medien, insbesondere der Pornoindustrie, auf unser Intim-Empfinden.
Die Schambehaarung ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, das typischerweise in der Pubertät unter dem Einfluss von Androgenen (v. a. Testosteron und Dihydrotestosteron) entsteht. Biologisch erfüllt sie mehrere Funktionen:
Im europäischen Mittelalter wurde der Körper stark religiös und moralisch bewertet. Der Intimbereich galt als „sündig“, fleischlich und wurde mit Scham belegt – daher auch der Begriff „Schambereich“. Schambehaarung selbst war kaum ein öffentlich diskutiertes Thema, da Nacktheit in christlich geprägten Gesellschaften tabuisiert war. In medizinischen Schriften des Mittelalters wurde Körperbehaarung oft als Zeichen von Männlichkeit oder als „natürliche Unreinheit“ gedeutet (Park & Daston, 1981).
Anders im islamischen Raum: Dort ist die Entfernung der Schambehaarung seit dem frühen Mittelalter Teil religiöser Hygienevorschriften (ḥadīth; vgl. Al-Qaradawi, 1984). Diese Praxis wurde alle 40 Tage empfohlen – und wird bis heute von vielen Gläubigen praktiziert.
Mit der Renaissance gewann der menschliche Körper wieder an Aufmerksamkeit – auch als Objekt erotischer Betrachtung. Dennoch blieb die Schambehaarung in der westlichen Kunst meist unsichtbar. Selbst in Aktdarstellungen wurde sie ausgespart oder nur angedeutet – ein ästhetisches Ideal, das sich durch die Geschichte zieht (Clark, 1956).
Erst im 18. Jahrhundert finden sich Berichte über sexuelle Vorlieben, die explizit auf Schambehaarung Bezug nehmen – etwa in pornografischer Literatur (z. B. „Fanny Hill“ von John Cleland, 1748). Doch auch hier dominiert die Vorstellung der „natürlichen“ Behaarung – ihre Entfernung war noch keine Mode.
Mit der Etablierung moderner Hygienetheorien (Pasteur, Koch) wurde Körperbehaarung zunehmend als „schmutzig“ betrachtet – insbesondere in medizinischen Diskursen. Die Enthaarung der Achseln und Beine wurde in westlichen Ländern bei Frauen ab den 1920er-Jahren populär, vor allem durch Werbung und Mode (Herzig, 2005). Die Schambehaarung blieb zunächst unbehelligt, da der Intimbereich weiterhin tabuisiert war.
1960–1980er: Emanzipation und Wildwuchs
Die sexuelle Revolution brachte eine Rückbesinnung auf „natürliche“ Körperlichkeit. In feministischen und alternativen Kreisen wurde Körperbehaarung – auch im Intimbereich – als Zeichen weiblicher Selbstbestimmung und Widerstand gegen Schönheitsnormen gefeiert. Gleichzeitig gewann Schambehaarung in der visuellen Pornografie an Präsenz, die durch das Aufkommen des „Playboy“ und späterer Filmproduktionen sichtbar wurde.
Ab 1990: Die Ära der Glattrasur
Seit den späten 1990er-Jahren lässt sich ein rasanter Anstieg der Intimrasur beobachten – zunächst bei Frauen, später auch bei Männern. Studien zeigen, dass heute etwa 80–90 % der jungen Frauen in westlichen Ländern ihre Schambehaarung teilweise oder vollständig entfernen (Herbenick et al., 2010; DeMaria et al., 2014).
Diese Entwicklung ist eng mit dem Einfluss der Pornoindustrie, der Mode (z. B. String-Tangas, Bikinimode) und sozialer Medien verbunden. Der „Hollywood Wax“ oder „Brazilian Wax“ – also die vollständige Entfernung aller Haare – gilt seitdem als ästhetischer Standard.
Die vollständige Entfernung der Schambehaarung ist nicht frei von Risiken. Studien berichten über:
Mikroverletzungen, die das Risiko für sexuell übertragbare Infektionen (STIs) erhöhen (Winer et al., 2003), eingewachsene Haare und Follikulitis, Kontaktekzeme und allergische Reaktionen durch Enthaarungscremes oder Wachs, psychische Belastung durch Schönheitsdruck und Körperunsicherheit (Tiggemann & Hodgson, 2008)
Warum entscheiden sich Menschen für oder gegen Intimrasur? Die häufigsten Gründe laut Studien (DeMaria et al., 2014; Toerien & Wilkinson, 2003):
Gefühl von Hygiene und Sauberkeit, Ästhetik, Partnerwünsche und sexuelle Attraktivität, soziale Normen und Gruppenzugehörigkeit.
Viele Frauen (und zunehmend auch Männer) empfinden das Entfernen der Schambehaarung nicht nur als ästhetisch, sondern als „Pflicht“, um den sexuellen Erwartungen zu genügen. Dies kann zu psychischem Druck, Schamgefühlen und Körperunzufriedenheit führen (Petersen & Mermelstein, 2015).
Pornoindustrie, Popkultur und der „kultivierte“ Intimbereich
Die heutige Norm der Intimrasur ist kein zufälliger Trend, sondern das Ergebnis gezielter medialer Inszenierung. Die Pornoindustrie hat in den letzten Jahrzehnten maßgeblich zur Verbreitung haarloser Genitaldarstellungen beigetragen. In Pornofilmen der 1970er-Jahre war Schambehaarung noch selbstverständlich – heute ist sie dort fast vollständig verschwunden.
Diese Entwicklung hat psychologische Auswirkungen:
Normbildung: Wiederholte mediale Darstellung haarloser Genitalien erzeugt beim Publikum den Eindruck, dies sei „normal“ oder gar „erforderlich“ (Fahs, 2014).
Vergleichsdruck: Jugendliche und junge Erwachsene erleben zunehmend Unsicherheit, wenn ihr eigener Körper nicht dem in Medien vermittelten Ideal entspricht (Riddell et al., 2010).
Pädosexualisierte Ästhetik: Einige Kritiker:innen warnen davor, dass die vollständige Entfernung der Schambehaarung auch eine visuelle „Kindlichmachung“ weiblicher Genitalien darstellt – mit problematischen Implikationen für die sexuelle Sozialisation (Levy, 2005).
Schambehaarung im interkulturellen Vergleich
Nicht in allen Kulturen ist die Entfernung der Schambehaarung ein westlicher Import. In vielen islamischen, hinduistischen und ostasiatischen Kulturen gibt es jahrhundertealte Traditionen der Intimenthaarung – allerdings meist aus religiös-hygienischen Gründen und nicht primär aus ästhetischen.
Interessanterweise gibt es auch Regionen, in denen Körperbehaarung als besonders erotisch gilt – etwa in Teilen Afrikas oder Polynesiens, wo Intimbehaarung als Zeichen von Fruchtbarkeit und sexueller Reife angesehen wird (Douglas, 1966).
Die globale Verbreitung westlicher Schönheitsideale durch Werbung, Filme und soziale Medien hat jedoch viele dieser lokalen Körpernormen verdrängt (Bordo, 2003).
Zwischen Norm, Wahlfreiheit und Körperkompetenz
Aus sexualmedizinischer Sicht ist die Entscheidung für oder gegen Intimbehaarung zunächst ein individueller Ausdruck körperlicher Autonomie. Problematisch wird sie jedoch, wenn sie nicht frei, sondern unter dem Druck medialer, kultureller oder partnerschaftlicher Erwartungen getroffen wird.
Körperbild und Selbstwert: Intimrasur wird oft als Voraussetzung für sexuelles Selbstvertrauen empfunden – was bei Abweichungen vom Ideal zu Scham oder Rückzug führen kann.
Aufklärung: Viele Jugendliche haben keine realistische Vorstellung vom „normalen“ Aussehen des Körpers – insbesondere des Intimbereichs. Die sexualpädagogische Darstellung von Vielfalt, inkl. unterschiedlicher Behaarung, ist essenziell.
Konsens in Beziehungen: Partnerwünsche dürfen thematisiert werden – sollten aber nicht zu Druck oder Schuldgefühlen führen.
Der haarige Weg zur Selbstbestimmung
Die Geschichte der Schambehaarung ist eine Geschichte über Macht, Moral, Mode und Medizin. Sie zeigt, wie eng unser Körper mit gesellschaftlichen Normen verknüpft ist – und wie sehr äußere Einflüsse unsere intimsten Entscheidungen prägen.
Als Sexualmedizinerin plädiere ich dafür, dass wir Schambehaarung nicht überbewerten – weder ihre Anwesenheit noch ihre Abwesenheit. Wichtiger ist, dass Menschen in der Lage sind, informierte, selbstbestimmte Entscheidungen über ihren Körper zu treffen – frei von Scham, Ideologie und Schönheitsdiktaten.
Ob mit Wildwuchs oder glatt wie ein Kinderpopo: Der Intimbereich ist ein Ort der Intimität, der Gesundheit – und vor allem der persönlichen Freiheit.
- Clark, K. (1956). The Nude: A Study in Ideal Form. Princeton University Press.
- DeMaria, A. L. et al. (2014). The Association Between Pubic Hair Grooming and Sexual Behavior. Journal of Sexual Medicine, 11(5), 1202–1208.
- Desruelles, F. et al. (2002). Cutaneous complications of depilatory treatments. Ann Dermatol Venereol, 129(11 Pt 1), 1251–1255.
- Douglas, M. (1966). Purity and Danger: An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo. Routledge.
- Fahs, B. (2014). The Sexual Politics of Body Hair: Re-growing the Feminist Body. Feminism & Psychology, 24(4), 496–510.
- Grammer, K., Fink, B., & Neave, N. (2005). Human pheromones and sexual attraction. European Journal of Obstetrics & Gynecology, 118(2), 135–142.
- Havlíček, J. et al. (2006). The role of olfactory cues in human mate choice. Hormones and Behavior, 50(4), 483–489.
- Herbenick, D. et al. (2010). Pubic Hair Removal among Women in the United States. Journal of Sexual Medicine, 7(10), 3322–3330.
- Herzig, R. (2005). Plucked: A History of Hair Removal. NYU Press.
- Levy, A. (2005). Female Chauvinist Pigs: Women and the Rise of Raunch Culture. Free Press.
- Park, K., & Daston, L. (1981). The Naturalization of Sexuality. Journal of the History of Sexuality, 1(1), 1–26.
- Petersen, J. L., & Mermelstein, R. J. (2015). Pubic hair removal and sexual self-perceptions. Body Image, 13, 145–153.
- Tiggemann, M., & Hodgson, S. (2008). The hairless ideal. Sex Roles, 59, 879–885.
- Toerien, M., & Wilkinson, S. (2003). Gender and body hair: Constructing the feminine woman. Women's Studies International Forum, 26(4), 333–344.
- Winer, R. L. et al. (2003). Genital HPV infection: incidence and risk factors. American Journal of Epidemiology, 157(3), 218–226.