Disclamer: Fallgeschichten werden von mir natürlich anonymisiert wiedergegeben. Geschlechter, Alter, Lebensumstände sind abgeändert.
Eine Patientin Mitte 40, die seit vielen Jahren kinky lebt und immer wieder Playdates oder auch längere Dynamiken in submissiver Rolle auslebt, sitzt verheult und verloren auf meinem Sofa. Sie wirkt ratlos und überfordert, also lasse ich sie einfach mal erzählen und es sprudelt aus ihr heraus: Sie hat sich vor drei Tagen mit einem dominanten Mann zum ersten gemeinsamen Spiel getroffen. Nachdem sich beide wochenlang ausgetauscht hatten, gut harmonierten, die Tabus und sexuellen Vorlieben zusammenpassten und sie auf ihr Bauchgefühl gehört hatte, das keinen Alarm schlug, war es endlich soweit. Eine intensive, stundenlange Session mit allem, was ihr Herz höherschlagen lässt und mit guten Gesprächen im Anschluss, dem Humor und Esprit eines charmanten Gegenübers.
Und jetzt ist sie ein Häufchen Elend. Was ist passiert?
Der Subdrop - eine der am häufigsten missverstandenen Reaktionen nach manchen BDSM-Sessions.
Zusammengefasst ist der Subdrop eine körperliche und psychische Reaktion auf intensive Erfahrungen, die ebenso real wie komplex ist. Ziel dieses Beitrags ist es, das Phänomen des Subdrops aus medizinischer Sicht zu erklären und sowohl die neurobiologischen Mechanismen als auch die psychodynamischen Hintergründe zu beleuchten, um praxisnahe Empfehlungen zur Prävention und Begleitung geben zu können.
Als "Subdrop" wird ein psychophysiologischer Zustand bezeichnet, der nach einer intensiven BD$M-Erfahrung auftreten kann, insbesondere bei Personen in der submissiven Rolle. Dieser Zustand kann sich Stunden oder auch erst ein bis zwei Tage nach einer Session manifestieren und äußert sich in emotionaler Labilität, Erschöpfung, Gefühlen von Leere, Traurigkeit, Reizbarkeit oder sogar depressiven Symptomen (Sandnabba et al., 2002).
Es können außerdem körperliche Symptome wie Zittern, Frieren, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen auftreten. Diese körperlichen Manifestationen sind Ausdruck einer neuroendokrinen Reaktion, die im Folgenden näher erläutert wird. Auch psychosomatische Beschwerden wie Magen-Darm-Störungen oder Appetitlosigkeit können beobachtet werden.
Nicht jede Person erlebt einen Subdrop und nicht jede Session führt dazu. Zudem scheint die Art der Session eine Rolle zu spielen. Besonders intensive Szenarien wie "Total Power Exchange" (TPE), "Consensual Non-Consent" (CNC) oder Sessions mit humilitätsbasierten Praktiken (z.B. Degradierung) bergen ein erhöhtes Risiko für psychische Nachwirkungen, wenn diese nicht durch sorgfältige Kommunikation und Nachbereitung aufgefangen werden. Auch hormonelle Zyklusphasen, Schlafmangel oder allgemeiner emotionaler Stress können die Subdrop-Anfälligkeit verstärken (Connolly, 2006).
Was passiert im Körper?
Während einer BD$M-Session, insbesondere bei sogenannten "high protocol" oder intensiven emotionalen/körperlichen Spielen, kommt es zu einem massiven Anstieg von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Parallel dazu wird eine große Menge an Endorphinen und Oxytocin ausgeschüttet (Sagarin et al., 2009). Diese Kombination bewirkt nicht nur einen euphorischen Zustand, sondern auch eine körperliche Hochregulation, vergleichbar mit einem "Runner’s High" oder ekstatischen Trancezuständen (Mollena Williams, zitiert in Wiseman, 2013).
Nach Ende der Session folgt ein abrupter Abfall dieser Botenstoffe. Besonders das Nachlassen der Endorphinwirkung kann zu einer Art "chemischem Kater" führen – vergleichbar mit den Nachwirkungen intensiven Ausdauersports oder gar psychoaktiver Substanzen. In diesem Zustand ist das vegetative Nervensystem mit der Regulation von Homöostase beschäftigt, also damit die Lebensfähigkeit und das Gleichgewicht der Körperfunktionen wiederherzustellen. Die Regulation kann psychisch als Dysphorie empfunden werden und sich als traurig-gedrückte, ängstliche Stimmung äußern. Die Reaktion ähnelt neurobiologisch einem Entzugserleben, ohne dass eine Sucht vorliegt.
Subdrop und Psyche
Subdrop ist nicht ausschließlich ein biologisches Phänomen. Die subjektive psychische Verfassung spielt eine ebenso große Rolle. Viele submissive Personen berichten, dass der Subdrop besonders dann auftritt, wenn eine starke emotionale Bindung zum dominanten Gegenpart besteht, die Erlebnisse nicht verarbeitet werden konnten (durch z.B. fehlende Aftercare – siehe unten) oder wenn Tabu-Inhalte berührt wurden (Newmahr, 2011).
Aus bindungstheoretischer Perspektive ist dies nachvollziehbar: BD$M kann intensive Gefühle von Hingabe, Kontrolle und Vertrauensbruch (gespielt oder real) aktivieren. Wenn diese Interaktionen nicht ausreichend verarbeitet werden, kann das Nervensystem in eine Art überforderte Schockstarre verfallen (Stolorow et al., 2002).
Zudem kann ein Subdrop auch durch innere Ambivalenzen oder gesellschaftlich erlernte Scham- und Schuldgefühle verstärkt werden, insbesondere wenn BDSM-Praktiken im inneren Wertesystem der Person als "abweichend" oder "falsch" empfunden werden. Hierzu mehr in meinem früheren Blogbeitrag zu BDSM.
Die Rolle von Aftercare: Prävention und Intervention
Eine der wirksamsten Strategien gegen einen Subdrop ist eine sorgfältig geplante und individuell angepasste Aftercare. Diese bezeichnet die Phase der emotionalen und körperlichen Nachsorge unmittelbar nach einer BD$M-Session. Studien zeigen, dass die Qualität der Aftercare direkt mit dem subjektiven Wohlbefinden der Beteiligten korreliert (Sagarin et al., 2009).
Aftercare kann viele Formen annehmen: Körperkontakt, verbale Bestätigung, Versorgung kleiner Verletzungen, gemeinsames Essen oder einfach nur stilles Beisammensein. Auch das Angebot, über die Session zu reflektieren und offene Fragen oder Unsicherheiten zu besprechen, ist zentral. Ziel ist die Re-Integration der Alltagspersönlichkeit, die emotionale Erdung sowie die Beruhigung des autonomen Nervensystems. Dabei sind Rituale besonders hilfreich, da sie Sicherheit und Vorhersehbarkeit vermitteln (Barker, 2013).
Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Verantwortung des dominanten Parts gelegt werden. Auch wenn BD$M auf Konsens basiert, trägt die dominante Person eine Führungs- und Schutzfunktion, die insbesondere in der Aftercare zum Tragen kommt. Dazu gehört die Beobachtung des emotionalen Zustands des submissiven Parts, das Anbieten von Nähe oder Distanz je nach Bedarf, sowie das aktive Nachfragen nach Bedürfnissen. Diese Form von Führung ist nicht autoritär, sondern empathisch und ressourcenorientiert.
Die Verantwortung endet nicht mit dem letzten Schlag oder dem Abnehmen eines Fesselsystems – vielmehr beginnt hier die Phase, in der emotionale Sicherheit durch präsente, wertschätzende Begleitung geschaffen wird. Die Nachsorge kann auch eine Vereinbarung zur weiteren Kontaktaufnahme enthalten, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass der Subdrop verzögert eintritt. Ein kurzer Anruf oder eine Nachricht am Folgetag kann hier bereits stabilisierend wirken.
Subdrop vs. Traumatische Reaktion: Eine diagnostische Abgrenzung
Ein besonders wichtiger Punkt aus klinischer Sicht ist die Abgrenzung zwischen einem Subdrop und einer posttraumatischen Reaktion. Hier ist Differenzialdiagnostik gefragt: Der Subdrop ist vorübergehend, gut ansprechbar auf Zuwendung und Aftercare und tritt meist im Kontext konsensueller, gewollter Erlebnisse auf. Eine Traumareaktion dagegen geht oft mit Flashbacks, Dissoziation und langanhaltender psychischer Beeinträchtigung einher (van der Kolk, 2014). Der Verlauf, die Intensität und die Kontextfaktoren sollten unbedingt sorgfältig psychotherapeutisch abgeklärt und aufgearbeitet werden.
Für Betroffene, die stärker oder wiederholt unter Subdrop leiden, wäre eine sexualtherapeutische Begleitung hilfreich. Hier kann in einem geschützten Rahmen reflektiert werden, welche inneren Prozesse während der Sessions aktiviert werden und wie man mit diesen konstruktiv umgehen kann. Dabei steht nicht die Pathologisierung, sondern die Stärkung der Selbstwirksamkeit und Selbstakzeptanz im Vordergrund.
Subdrop ernst nehmen
Der Subdrop ist ein komplexes, aber normales Phänomen im Spektrum menschlicher Erregungs- und Bindungserfahrungen im BD$M Kontext. Es ist Ausdruck eines tiefgreifenden neuropsychologischen Prozesses, der sich körperlich und emotional äußert.
Durch Aufklärung, Kommunikation und sorgfältige Nachsorge kann ein Subdrop als integraler Bestandteil des BD$M-Erlebens verstanden und bewältigt werden. Dabei trägt insbesondere die dominante Person eine ethische Verantwortung für die emotionale Sicherheit ihres Gegenparts. Wenn es zu einem Subdrop kommt, ist dies kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck eines intensiv verarbeiteten Erlebnisses, das mitfühlend und verantwortungsvoll begleitet werden sollte.
Literaturhinweise (Auswahl)
- Barker, M. (2013). Consent is a grey area? A comparison of understandings of consent in 50 shades of grey and on the BDSM blogosphere. Sexualities, 16(8), 896–913.
- Connolly, P. H. (2006). Psychological functioning of bondage/domination/sadomasochism (BDSM) practitioners. Journal of Psychology & Human Sexuality, 18(1), 79–120.
- Newmahr, S. (2011). Playing on the Edge: Sadomasochism, Risk, and Intimacy. Indiana University Press.
- Sagarin, B. J., Cutler, B., Cutler, N., Lawler-Sagarin, K. A., & Matuszewich, L. (2009). Hormonal changes and couple bonding in consensual sadomasochistic activity. Archives of Sexual Behavior, 38(2), 186–190.
- Sandnabba, K. N., Santtila, P., Alison, L., & Nordling, N. (2002). Demographic, psychological and personality characteristics of sadomasochistically-oriented males: A comparative study. Journal of Homosexuality, 42(1), 47–57.
- Stolorow, R. D., Atwood, G. E., & Orange, D. M. (2002). Worlds of Experience: Interweaving Philosophical and Clinical Dimensions in Psychoanalysis. Basic Books.
- van der Kolk, B. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma. Viking.